Die offene Gesellschaft und ihre Freunde by Alexander Carius

Die offene Gesellschaft und ihre Freunde by Alexander Carius

Autor:Alexander Carius [Carius, Alexander]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104903057
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


»Ich wünsche mir Politiker, die wieder vorangehen, die sagen, wir stehen für was.«

Van Bo Le-Mentzel

Für ein Land der Unangepassten

»Ich hasse dieses Land!« Diese Antwort bekomme ich von dem alten Mann mit der schwarzen Gürteltasche auf die Frage, warum er denn nach 40 Jahren Deutschland immer noch kaum Deutsch spricht. Dabei hatte er als Gastronom viel Kontakt mit Deutschen. In Paderborn, Bad Driburg und Görlitz betrieb der Mann mit dem beruflichen Asia-Lächeln durchaus erfolgreich mehrere China-Restaurants. Das war, bevor er sich anlegte: mit der GEMA, die von ihm Geld kassieren wollte für Karaokelieder, die er selbst eingesungen hatte. Mit dem Finanzamt, die ihm die Zulassung entzog, weil er der Meinung war, dass er ihnen nichts zu schenken hatte. Er selbst habe ja keine Sozialhilfe vom Staat in Anspruch genommen. Mit Flensburg, die ihm den Führerschein abnahm, obwohl er doch so vorsichtig fahre (tatsächlich unfallfrei), aber nun mal chronisch zu schnell. Kontakt mit Deutschen hatte er durchaus viel, allerdings nicht mit weißen Deutschen. Die vietnamesischen Freunde aus dem DongXuan Center in Marzahn oder seine laotischen Bekannten in Kreuzberg sind ja auch Deutsche. Wehe dem, der jetzt sagt: Das sind keine richtigen Deutschen.

Der Mann ist unzufrieden. Er sagt, unsere Regierung müsse unbedingt einen Riegel vor die Grenzposten schieben. Zu viele Flüchtlinge. Zu viele Moslems. Zu viele Terroristen. Dabei müsste er eigentlich Verständnis für die Situation der Geflüchteten haben. Immerhin ist er selber einer von ihnen. In den Siebzigern floh er aus Laos. Oder richtiger gesagt: Er floh einer schönen Schneiderin hinterher. Der Elektriker mit chinesischen Wurzeln verliebte sich in eine Vietnamesin in Pakse. Als die Schneiderin über den Mekong Fluss schwamm, war sie schwanger. Von ihm. Das war deshalb brisant, weil er verheiratet war. Und seine Ehefrau das fünfte Kind erwartete. Die vietnamesische Schneiderin floh vor dem Kommunismus. Vielleicht floh sie auch vor ihrem Geliebten. Sie wollte einfach nur weit weg und kam in Deutschland unter. Er wollte nur nah bei ihr sein, verließ seine Familie und folgte ihr. Als ihr gemeinsames Kind 14 Jahre alt war, trennte sie sich von ihm. Fünf Jahre später starb sie ganz unerwartet im Alter von 41 Jahren in Rom. Sie hinterließ einen rastlosen Mann, der nie nach Deutschland kommen wollte. Einen gebrochenen Mann, der vier Sprachen fließend spricht: Lao, Mandarin, Vietnamesisch und Thai. In Asien nennt man solche Leute Kosmopoliten. In Deutschland sprechen weiße Deutsche mit ihm, als ob er ein wenig begriffsstutzig wäre. Weil er halt so schlecht Deutsch spricht. Und die Schneiderin hinterließ noch einen Jungen. Einen etwas zu dünn geratenen Knirps, der das Gefühl nie loswurde, in seinem Leben nur Gast zu sein.

Dieser Knirps bin ich. Der alte Mann ist mein Vater. Die Schneiderin meine Mutter.

Ich war jemand, den man in Deutschland duldete. Weil wir ja keine »echten Flüchtlinge« waren, sondern nur »Wirtschaftsflüchtlinge«. Und sowieso konnten wir nur deshalb in Deutschland einreisen, weil wir Papiere gefälscht hatten. So wie Fahrgäste ohne Fahrkarte blinde Passagiere bleiben, startete ich mein neues (und einziges) Leben in Deutschland als blinder Staatsbürger. Jeder, der schon mal irgendwo zu Gast war, weiß, dass man es vermeidet, Wurzeln zu schlagen.



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